Geislinger Haushalt im Jahr 2020 "Schlimmer geht immer"
Die Entscheidung zwischen Pest und Corona ! Gewerbesteuer-Rückgang ins Bodenlose !
Stellungnahme der Fraktion der Freien Wähler Geislingen zum Haushalt 2020 und zum Finanzplan 2020-2023
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dehmer,
Sehr geehrte Gemeinderatskollegen und -kolleginnen,
Sehr geehrte Damen und Herren,
wahrscheinlich haben meine Vorredner unsere Gedanken schon in irgendeiner Form vorweggenommen, aber wir wollen diese schwierige Haushaltskonsolidierung 2020 trotzdem nochmals aus unserer Sicht bewerten.
Nach dem Motto: „Schlimmer geht immer“ erreichte uns Migy-Gequälten Ende 2019 auch noch die Hiobsbotschaft, dass die Gewerbesteuereinnahmen um mehrere Millionen Euro eingebrochen sind.
Ein Haushalt schien schwierig zu werden, aber das war noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Erste Versuche, einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erstellen, scheiterten früh.
Weitere Rückgänge bei der Gewerbesteuer im Frühjahr 2020 ließen die Habenseite des Ergebnishaushaltes um insgesamt ca. 4,5 Mio. Euro einbrechen. Was nun ?
Die Lage schien völlig aussichtslos. Niemand konnte sich vorstellen, wie man unter diesen Voraussetzungen durch eine Konsolidierung einen genehmigungsfähigen Haushalt aufstellen kann.
Auf der Klausurtagung am 13. und 14. Mai 2020 sollte das Unmögliche geschafft werden, um den Finanzplan bis 2023 ausgeglichen zu gestalten. 304 Seiten an Einsparungsvorschlägen waren durchzuarbeiten.
Zunächst einmal muss Herrn Dehmer und seinem Team an dieser Stelle großer Respekt und Dank gezollt werden, dieses Mammutwerk auf die Beine gestellt zu haben.
Die Verwaltung hat sich auch nicht davor gescheut, im eigenen Haus zahlreiche Einsparmöglichkeiten aufzuzeigen. Selbstverständlich verteidigte sie wichtige Errungenschaften gegenüber möglichen Änderungen.
In insgesamt ca. 30 Stunden Tagungszeit wurde Punkt für Punkt mehrfach durchgeackert. Es war oft wie die Entscheidung zwischen Pest und Cholera, oder wie man heute sagen würde: zwischen Pest und Corona.
Im Gegensatz zu Sisyphus, der bei seinem vergeblichen Versuch, einen Felsblock einen Berg hoch zu wälzen, letztendlich scheiterte, gelang es uns aber, die Aufgabe zu bewältigen.
Angefangen bei Bagatellbeträgen für Fachliteratur, gelangte man schließlich zum heikelsten Punkt der Debatte, dem Freibad.
Mit einer jährlicher Einsparung durch Schließung von 334.000 € erschien dies der einzig vertretbare, große Brocken, den man sich vorstellen konnte.
Stadtbücherei, Volkshochschule und Musikschule sind aus unserer Sicht aufgrund des unverzichtbaren Bildungsangebots unantastbar.
Niemand konnte sich allerdings vorstellen, dass Geislingen irgendwann einmal ohne Freibad dastehen würde. Der Schmerz ist sicher 2020 noch überschaubar, weil aufgrund der Corona-Maßnahmen sowieso jeweils nur 450 Personen gleichzeitig das Freibad besuchen dürften.
Bei über 3.000 Besucher an schönen Sommertagen wäre das für niemanden befriedigend, weder für die Besucher noch für das Personal. Aber die nächsten Jahre wird Geislingen das weithin hörbare, fröhliche Gekreische aus dem Bad schon sehr vermissen.
Ganz wichtig erscheint uns dabei, dass das Hallenbad auf jeden Fall geöffnet bleibt, um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Hier lernen Kinder und Schüler schwimmen, das ist elementar.
Letztendlich und nach langen Diskussionen fiel die Entscheidung für die Schließung des Freibades bis 2023 zwar schweren Herzens, aber im gesamten Gemeinderat einstimmig, was die Not der Stadt Geislingen deutlich manifestiert.
Insgesamt scheinen uns die Lasten bei den Einsparungen gleichmäßig verteilt, zumal die Verwaltung sich selbst 5 plus 1,5 Prozentpunkte an Kostenreduzierungen aufbürdete. Bei so mancher Einsparung lässt sich auch ein Ersatz durch bürgerliches Engagement und Ehrenamt vorstellen, hier sind Kreativität und Motivierungskünste gefragt.
Nachdem die Hausaufgaben der möglichen Einsparungen gemacht waren, ging es an den großen Mischpult des Gesamthaushaltes.
Drei Regler sind hier zu bedienen: Einsparungen, Gewerbesteuer und Grundsteuer. Bei dem Schieber der Gewerbesteuer sehen wir keinen Spielraum nach oben.
Erstens ist Geislingen da in weitem Umfeld schon „führend“ und außerdem wäre eine Erhöhung in der aktuellen Corona-Krise nicht vertretbar, solange die große Politik zeitgleich Rettungspakete in Milliardenhöhe schnürt.
Das Spiel mit der Grundsteuer bei einer Erhöhung um 20 Punkte scheint uns da gerechter, weil es alle gleichermaßen trifft - wohlwissend, dass man sich im Vergleich mit anderen Kommunen mit bisher 425 Punkten schon jetzt weit oben auf der Skala befindet.
Die insgesamt gefundene Mischung führt nun auf einen Überschuss von 108.000 €, bezogen auf die 4 Jahre des Finanzplans. Heruntergerechnet auf ein Jahr sind dies 27.000 € und somit nur 6 Promille bezogen auf die 4,5 Mio. €, die zum Beispiel 2020 im Haushalt fehlten. Da kann man mit Fug und Recht behaupten, das sei sehr dünnes Eis, auf dem man sich künftig bewegt.
Letztendlich tragen wir den gemeinsam erarbeitenden Kompromiss mit - in der Hoffnung, dass der geringe verbleibende Spielraum ausreicht, um mögliche Unbillen der weiteren Risiken durch die Corona-Krise auszugleichen. Es lässt sich nämlich vermuten, dass das Steueraufkommen 2020 weiter einbrechen wird in diesem „abnormalen“ Jahr, um den Stadtkämmerer Pawlak zu zitieren.
Offene Frage gibt es weiterhin genügend: Was kommt als Corona-Ausgleich vom Land und vom Bund?
Sind es Geschenke, Kredite oder Stundungen? Dies wird zurzeit verhandelt. Die Auswirkungen auf den Geislinger Haushalt lassen sich aber aufgrund mangelnder Zahlen noch nicht bewerten. Hoffen wir das Beste!
Was ist geblieben: Vier wichtige Posten der Freiwilligkeitsleistung blieben Geislingen in ihrer Leistungsfähigkeit weitgehend erhalten: Stadtbücherei, Volkshochschule, Musikschule und Vereinsförderung.
Ebenso die meisten Einrichtungen, die der Bildung zu Gute kommen, wie Mobile Sozialarbeit, Schulsozialarbeit und Brennpunktkindergärten. Das ist uns wichtig, damit nicht die Kinder als schwächste Glieder unserer Gesellschaft die Suppe auslöffeln müssen.
Bildung und Erziehung hat höchste Priorität. Mit Geislinger Traditionen wie Kinderfest und Pferdemarkt wurde ebenfalls nicht gebrochen – auch das bewerten wir hoch.
Zukunftsträchtige, touristische Errungenschaften wie die Löwenpfade bleiben erhalten. Das ist notwendig, um jetzt nicht jede Entwicklung im Keime zu ersticken.
Leider ist es nicht zielführend in Anbetracht der Klimmzüge, die wir nun in den letzten Wochen zusammen gemacht haben, neue Ideen oder Wünsche einzubringen, geschweige denn, Anträge diesbezüglich zu stellen.
Dennoch wollen wir ein paar Gedankenspiele machen über die Dinge, die wünschenswert wären: die Wiederbeleuchtung des Ödenturms, die lange ersehnte, neue Sporthalle im Notzental, die schon angedachte Sanierung des Wölkbades, die Sanierung des Fußgängerstegs am Bahnhof, die professionelle Reparatur vieler maroden Straßen im gesamten Stadtgebiet, ein neues Krematorium, die stromsparende und nachhaltige LED-Beleuchtung, die schrittweise und wirtschaftliche Umsetzung des Feuerwehrbedarfsplans in allen Stadtbezirken, der schon komplett geplante Schubart-Rundweg, das papierlose Unterlagensystem für den Gemeinderat, die Erschließung neuer Baugebiete (Aufhausen, Weiler, Tälesbahnhof), einen Baulückenkatalog zur innerstädtischen Verdichtung, der Ausbau von Fahrrad-Trails für Mountainbiker auf Geislinger Gemarkung oder neue Tourismusangebote.
Typische, strukturelle Einrichtungen in der Stadt und in allen Stadtbezirken sollen erhalten werden. Aber schon Goethe schrieb: Man verliert nicht immer, wenn man entbehrt. Hoffen wir, dass das heutzutage noch so stimmt.
Wünsche, bei der die Stadt nur vermitteln, aber nicht aktiv handeln kann, wären die Wiederbelebung des ehemaligen Kauflandes in der oberen Stadt, ein neues Hotel für Tourismus und Wirtschaft, das Ansiedeln von weiterem Gewerbe im Stadtgebiet (z.B. Gewerbegebiet Türkheim) und der Weiterbau der B10.
In jedem guten Märchen hat der Protagonist drei Wünsche offen, zum Beispiel in Haselnüsse verpackt. Der Inhalt unserer Geislinger Nüsse wären:
Es ist uns allen sehr schwer gefallen, eine der attraktivsten Freizeiteinrichtungen Geislingens, das Freibad, vorübergehend zu schließen. Deshalb wäre es unser größter Wunsch für die Geislinger Bevölkerung, dass wir mit einer möglichen Wiedereröffnung nicht bis zum Jahre 2024 warten müssen.
Welche Möglichkeiten sich da in Zukunft auftun, wird man abwarten müssen. Die Corona-Krise lässt aktuell leider keinerlei Prognosen zu.
Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Vielleicht tun sich ja auch hier durch Eigeninitiative und bürgerliches Engagement neue Möglichkeiten auf. Wir wären dabei.
Die zweite Nuss ist der Multifunktionsplatz am Tälesbahnhof, der irgendwie in naher Zukunft Realität werden sollte.
Nicht nur, weil ihn die Geislinger Jugend dringendst braucht, sondern auch, weil schon so viel Arbeit, Herzblut und Hoffnung der Jugend darin gesetzt wurden. Zwei offene Briefe der Betroffenen verdeutlichen diese Problematik.
Der Platz war ja schon ausgeschrieben und wäre da ein vertretbares Angebot eingegangen, dann befänden wir uns bei diesem Projekt schon weit hinter der Ziellinie. Aktuell ist das Zielband wieder etwas in die Ferne gerückt. Schade !
Die Realisierung sollte deshalb gegebenenfalls auch zu Lasten des Verkaufs von Grund und Boden an anderer Stelle vorangetrieben werden.
Die dritte und größte Nuss ist das Michelberg-Gymnasium: Das prägende Thema der letzten Monate und Jahre ist weiterhin ohne konkreten Lösungsansatz.
Das Damokles-Schwert der Schließung hängt weiterhin über unseren Köpfen.
Der Weg ist noch lange und steinig. Welche Erkenntnisse wird das in Auftrag gegebene Gutachten zur regionalen Schulentwicklungsplanung für Geislingen bringen?
Steht das Land Baden-Württemberg zu seiner versprochenen, finanziellen Hilfe?
Sind die Umlandgemeinden bereit und vor allem auch in der Lage, einen finanziellen Beitrag zu leisten?
Ist die Stadt Geislingen in Anbetracht der unwägbaren, finanziellen Risiken durch die Corona-Krise in der Lage, seinen Anteil zu stemmen?
Fragen über Fragen!
Das eingangs schon zitierte Motto „Schlimmer geht immer“ lässt uns wissen, dass es auch noch düsterer aussehen könnte.
Laut dem Dalai Lama ist Hoffnungslosigkeit ein echter Grund für Misserfolg.
Diesem Mechanismus wollen wir uns allerdings keinesfalls unterwerfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Geislingen, im Juni 2020
Für die Stadtratsfraktion der Freien Wähler:
Dr. Stephan Schweizer